„Potz! Blitz!“. Vom Fluchen und Schimpfen

Würfel „Four Letter Words“

Die Menschheit tat und tut es: fluchen und schimpfen. Schon immer. Mit schlimmen und teilweise auch mit lustigen Folgen. Doch nirgendwo begegnet man Kraftausdrücken so gefahrlos, lehrreich und vergnüglich wie in dieser Ausstellung in Frankfurt am Main: „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech”.

Schon immer flucht und schimpft die Menschheit – mit schlimmen und auch mit lustigen Folgen. Egal, aus welchen Kulturkreisen die Menschen stammen. Die Ausstellung „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech” im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main schlägt noch bis zum 29. Januar 2023 einen Bogen von saftigen Verfluchungen in Keilschrift über internationale Beschimpfungen mit Tiernamen bis zu Internet-Trollen und Hate Speech.

Fluchen und Schimpfen – eine Definition

Beschimpfen lassen
An einer Station können sich die Besucher/-innen vom Kurator der Ausstellung, Dr. Rolf-Bernhard Essig, kreativ beschimpfen lassen. (© Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Bert Bostelmann)
Fluchen und Schimpfen seien Grundverhalten der Menschen, so der Kurator der Ausstellung Dr. Rolf-Bernhard Essig. Sie fußten auf der Überzeugung, dass bestimmte Wörter eine Art magische Macht haben. Deshalb passe ihre allgemeine Bezeichnung als „Kraftausdrücke“ sehr gut. Meist handele es sich zudem um Tabu-Wörter, deren Gebrauch im Alltag nach den Regeln von Religion, Kultur, Moral, Gesetz verboten oder verachtet sei. Schon allein der Bruch dieser Konventionen gäbe den Kraftausdrücken Macht. In der Alltagssprache unterscheide man kaum zwischen Fluchen und Schimpfen. Fluchen sei jedoch häufig mit dem Verfluchen anderer verbunden. Eine enge Verbindung existiere auch mit dem Schwören.

„Potz! Blitz!“ ist übrigens die Kurzform des alten Fluchs „Gottes Blitz soll dich treffen!”, wobei „potz“ auf einer Entstellung des Genitivs von „Gott“, also: „Gottes“, beruht.

Zehn Tatsachen übers Fluchen und Schimpfen

  1. Fluchen und schimpfen kann man auch ohne Kraftausdrücke.
  2. Unwillkürliches und absichtliches Fluchen kann physische und soziale Schmerzen sowie Stress messbar verringern.
  3. Kraftausdrücke können, müssen aber nicht beleidigen und verletzen.
  4. Kraftausdrücke können die körperliche und geistige Leistung stärken oder schwächen.
  5. Kraftausdrücke können die Glaubwürdigkeit von Aussagen stärken oder schwächen.
  6. Kraftausdrücke verändern sich mit der Gesellschaft und damit ihre Intensität.
  7. Die Künste setzen Fluchen und Schimpfen als ästhetisches Mittel ein.
  8. Alle Schichten fluchen und schimpfen.
  9. Wer kreativ und variantenreich flucht und schimpft, hat auch sonst überdurchschnittliche Sprachfähigkeiten.
  10. Fluchen und Schimpfen dienen oft als soziales Erkennungssignal und Bindemittel.

(Siehe hierzu auch in meinen Notizen „Schimpfen mit Shakespeare“: „Textvorschläge für ein gepflegtes Zusammenstauchen“!)

Von Fluch-Abwehr und -Verboten – und ihrem Scheitern

In allen Religionen, Kulturen und Zeiten wurde und wird geflucht und geschimpft. Doch die übersinnliche Wirkung von Wörtern schrieb man ursprünglich nur höheren Mächten zu, später auch Menschen, die mit ihnen in Verbindung stehen. Doch der Glaube an die geradezu magische Kraft von Flüchen und Kraftausdrücken bedingt auch den Glauben daran, Flüche abwehren zu können. In allen Religionen und Kulturen finden sich nebeneinander Fluch-Verbote und Fluch-Gebote. Hierzu finden Besucher/-innen zahlreiche Objekte in Vitrinen: Amulette, Armbänder und weitere.

Fluchverbote gibt es seit jeher. In der Regel jedoch ohne den erwünschten Erfolg. Im Bereich der Ausstellung „Am Anfang war der Fluch“ lässt sich nachvollziehen, dass sich weder Gott noch Jesus an die eigenen Verbote hielten. Auch im Koran stehen neben Fluchverboten zahlreiche Fluchformeln, und in der antiken römischen Kultur gehörten Verfluchungen zum Alltag. Der im Titel der Ausstellung genannte „Fluch des Pharao“ beruht hingegen auf einem Mythos: Erst ein Roman von 1828 und dessen Verfilmung 1932 lieferten das Modell dafür, dass Grabschänder ein Fluch verfolge. Es ist gut möglich, dass Archäologen den Fluch nicht als Mythos entlarvten, weil er viele Neugierige abschreckte.

Im 16. Jahrhundert folgte in Europa eine Zeit extrem derber, unflätiger, gotteslästerlicher Sprache. Das hatte auch mit dem heftigen Krieg, Zwist und Zank zwischen den Religionen zu tun. Ein Mittel dagegen: Strafkassen für Kraftausdrücke in Wirtshäusern. Man nannte sie „Schwörbüchsen“, was auf die Verbindung von „schwören“ = „fluchen“ hinweist! Bis heute stehen solche Behälter etwa auch in Büros. Meist erfüllten sie ihren eigentlichen Zweck, das Fluchen und Schimpfen zu verhindern oder zu verringern, nicht. Auch im Museum finden Sie eine solche Büchse.

Animalische und geschlechtsspezifische Beschimpfungen

Ein weites Feld stellen animalische und geschlechtsspezifische Beschimpfungen dar.

In allen Sprachen dienen Vergleiche zwischen Mensch und Tier als Beleidigung. Kein Wunder, denn der Mensch ist ein Tier und er ähnelt Tieren. Nur hält er sich für etwas Besseres! Ob man eine Tierzuschreibung aber als eine Beleidigung versteht, hängt von Kulturen, Zeiten und Situationen ab. Hund, Schwein, Ochse, Ratte gelten in vielen Ländern als negativ, in anderen dagegen als Glückstiere. Wenn man Sie als „überfahrenes Opossum“ betitelt, befinden Sie sich in China, als „Halbdackel“ im Schwäbischen. Ein Mobile an einer Decke präsentiert eine kleine Auswahl beliebter Beschimpfungen mit Tieren aus 13 Ländern.

Aber auch geschlechtsspezifische Schimpfe ist voller Tücken. Nehmen wir „Schlampe“. Wussten Sie, dass es auch den „Schlamper“ gibt? Je nach Geschlecht ändert sich der Sinn. Ähnlich ist es bei „Wichse*r“. Im Alltag unterscheiden sich geschlechtsbezogene Kraftausdrücke deutlich. Sie beschimpft man besonders mit dem Vorwurf, zu herrisch, sexuell zu aktiv zu sein und zu manipulieren. Ihn beschimpft man besonders mit dem Vorwurf, zu weich, zu impotent oder homosexuell zu sein. Bei Menschen, die sich normativen Zuschreibungen entziehen, lässt sich keine jahrhundertealte Schimpfkultur feststellen. Allerdings werden sie häufig Opfer von Hate Speech und Online-Mobbing im Netz. Mehr zu diesem „anrüchigen“ Thema finden Sie übrigens auf den dortigen Toiletten!

Nummernschilder
Selbst Nummernschilder taugen für Beschimpfungen. (© Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Bert Bostelmann)

Ein Sonderfall: Schimpfen im Verkehr

Schimpfen im Verkehr
Im Verkehr entladen sich Frust, Wut, Hass heftig und häufig. (© Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Bert Bostelmann)
Im Verkehr entladen sich Frust, Wut, Hass heftig und häufig. Es fasziniert durchaus, wie sich dort sonst friedliche Menschen in explosive Fluch-Bomben verwandeln. Autofahrer/-innen schimpfen über Radler/-innen, Fußgänger/-innen über beide. Und alle drei übereinander. Bei einer Befragung von 500 Kindern zwischen 4 und 16 Jahren stellte „OnePoll“ 2012 fest: 75 Prozent der deutschen Eltern schimpften im Auto, 41 Prozent schrien sich an und 54 Prozent stritten sich. Vor einem Bildschirm können Sie Ihre „Begabung“ hierzu testen.

Hassrede und Online-Mobbing

Hate Speech, Hassrede, und Online-Mobbing greifen leider immer mehr um sich, ebenso Troll-Angriffe, Shitstorms, die Verbreitung von Lügen oder andere Hass-Angriffe auf reale Personen. Sieben Sätze zu Hate Speech (Angaben nach Thomas Hestermann: Fakten über den Hass. In: Journalist, Nr. 6, 2022, S. 50–53):

  1. Hassrede trifft viele: Etwa 10 Prozent der Internetnutzer/-innen zwischen 16 und 70 Jahren erlebten in öffentlichen Foren schon Beleidigungen und Bedrohungen.
  2. Sie schüchtert ein: 68 Prozent der Betroffenen und 37 Prozent der Nicht-Betroffenen posten wegen ihr manche Beiträge nicht oder formulieren vorsichtiger.
  3. Sie erzielt trotz geringer Menge hohe Aufmerksamkeit: Nur 0,5 Prozent der Kommentare zum Thema „Corona“ auf den Facebook-Seiten von „Tagesschau“, „Heute“, „Spiegel“, „Focus“, „Bild“ oder „Welt“ waren Hassbotschaften, doch berichtete man sehr häufig über sie.
  4. Sie trifft besonders Mandatsträger/-innen: Politiker/-innen erhalten im Durchschnitt weit mehr Hassbotschaften als z. B. Minderheiten.
  5. Sie stammt meist von Männern und trifft sie fast doppelt so häufig wie Frauen. Dabei bezieht Hassrede sich bei Frauen weitaus mehr auf deren Geschlecht.
  6. Sie wird oft nicht anonym veröffentlicht. Zahlreiche Hater lassen sich leicht identifizieren oder schreiben gleich unter Klarnamen.
  7. Sie wird zunehmend automatisiert gelöscht. Das Doppelproblem: Harmloses, Spielerisches oder Historisches fällt Algorithmen leicht zum Opfer, während Hater sie mit kreativ formulierten Hass unterlaufen.

(Siehe hier ein Beispiel unter „‚haubt Sache‘ Hass, koste es, was es wolle!“ und „Maria-Bernhardine als Kommentatorin auf PI-News“ sowie in meinen Notizen „Hass und Hetze im Internet“!)

Das Wort „Shitstorm“

Das Phänomen Shitstorm ist übrigens weltberühmt. Das Wort prägten offenbar US-amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg für extreme Kampfsituationen. Darauf weisen die ersten schriftlichen Belege in Romanen seit 1948 hin, so etwa solchen von Norman Mailer. Ein Zusammenhang mit der Redensart „when the shit hits the fan” sei wahrscheinlich. Ein Objekt in der Ausstellung zeigt einen Shitstorm.

Was passiert im Gehirn, wenn wir fluchen?

Gehirnmodell
Dieses Modell präsentiert den Besuchenden die wichtigsten am „Fluchprozess“ beteiligten Gebiete. (© Museum für Kommunikation Frankfurt, Foto: Bert Bostelmann)
Es ist erstaunlich, welche entscheidende Rolle das Gehirn beim Fluchen und Schimpfen spielt! Beides wird nämlich anders als übliche, „anständige“ Sprache verarbeitet. Das erklärt sich an einem dort gezeigten Modell des Gehirns mit den wichtigsten am „Fluchprozess“ beteiligten Hirnregionen.

Beim Thema „Fluchen und Schimpfen“ sei die einfache Unterscheidung höherer und tieferer Hirnfunktionen wichtig. Die Verarbeitung von Sprache gehört zu den höheren. Die rationale Verarbeitung von Sprache findet bei den meisten in der linken Hemisphäre statt, deren emotionale Einbindung in der rechten. Viele Forscher gingen davon aus, dass Kraftausdrücke, vor allem der frühkindlich erlernten Sprache(n), anders gespeichert und abgerufen werden als neutrale Wörter.

Das Fünf-Phasen-Modell des Fluchens

  1. Auslöser durch Schmerz, Provokationen verbaler oder anderer Art, Enttäuschung etc.
  2. Physische und psychische Reaktionen (Erregung, Wut, Ärger etc.), gesteigerte Hirnaktivitäten besonders rechtshemisphärisch und im limbischen System; bei entsprechend starken Reizen folgt unwillkürliches, reflexhaftes, automatisches Fluchen, häufig sehr kurze oder Einsilbenflüche („Mist!“, „Fuck!“, „Cazzo!“, …)
  3. Hemmphase, besonders linkshemisphärisch im präfrontalen Cortex gesteuert (Erziehung, Moral, habitualisierte Verhaltensmuster). Fluchimpuls „staut“ sich.
  4. Abwägung, Einordnung und Bewertung. Anpassung des Fluchens (eine Frau beschimpft man nicht als Schwuchtel, einen Hammer nicht als Drecksau); bei entsprechend positiver Bewertung der Angemessenheit des Fluchens und erfolgreicher Anpassung willkürliches, strategisches Fluchen möglich.
  5. Abwägung der Folgen, ob Fluchen Gewinn oder Verlust bedeuten wird. Je nach Ergebnis: fluchen oder nicht.

Bei dieser Gelegenheit: Wussten Sie, dass sich bei bestimmten (und nur bei um die 20 Prozent in westlichen Ländern) Tourette-Syndrom-Patienten Koprolalie (wörtlich: „Scheiße Reden“) findet? Bei einigen von ihnen geht die verringerte Kontrolle durch den präfrontalen Kortex außerdem mit einer bedeutenden Aktivierung des limbischen Systems und der Basalganglien einher. Möglicherweise gäbe es einen Zusammenhang zwischen Tics, zwanghaften Bewegungen, und der Koprolalie, da Fluchwörter als eine Art Bewegungsreiz mit emotionaler Färbung verstanden werden können.

Die Ausstellung

Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“, noch bis zum 29. Januar 2023 im Museum für Kommunikation Frankfurt, Schaumainkai 53 (Museumsufer), 60596 Frankfurt am Main. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags sowie an den Feiertagen: 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, montags geschlossen.

Falls Ihnen kein Besuch möglich sein sollte, sei Ihnen der Expotizer zur Ausstellung empfohlen!

(Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung des Museums. Das Titelbild von Bert Bostelmann zeigt ein „Four Letter Word“, ein Schimpfwort bestehend aus vier Buchstaben, die es in vielen Sprachen gibt. Siehe zu einer früheren Ausstellung dort hier auch „Mein Name ist Hase: geflügeltes Wort, Redewendung oder Sprichwort?”)

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

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