Hin und wieder erfährt der Autor auch von grandios umgesetzten Websites oder Webprojekten. In diesem Falle geht es um eine Insel, nämlich eine Insel der Toten, und das Webprojekt „Hart Island“.
Eine Insel und ein grandioses Webprojekt: „Hart Island“
Hart Island ist eine kleine Insel, die zum Stadtbezirk Bronx in New York gehört. Schon seit 1869 begräbt die Stadt dort diejenigen, die keine Angehörigen hatten oder für deren Beerdigung niemand gefunden werden konnte, der/die die Kosten dafür übernehmen konnte oder wollte. Über eine Million New Yorker/-innen liegen inzwischen auf diesem Armenfriedhof: von Obdachlosen über AIDS-Opfer der 1980er-Jahre bis hin zu den COVID-19-Toten dieses Jahres. Das Betreten der Insel ist übrigens grundsätzlich verboten – mit Ausnahme der Totengräber! (Siehe zur Geschichte der Insel auch den Wikipedia-Artikel „Hart Island“ oder den wesentlich informativeren englischsprachigen Artikel, aus denen auch das Luftbild stammt. Das im Folgenden empfohlene Webprojekt findet dort übrigens auch Erwähnung.)
Das Webprojekt
Das Webprojekt „Hart Island“ versucht seit inzwischen 2011, den anonymen Toten Namen zu geben. Jede auf der interaktiven Karte verzeichnete Zahl steht für ein Massengrab. Außerdem ist jede bislang unbekannte Person mit einer „Clock of Anonymity“ versehen, die zum Zeitpunkt der Beerdigung zu ticken beginnt. Sie zeigt somit an, wie lange dieser schon her ist. Mit dem Anhalten dieser Uhr kann man die Person aus der Anonymität holen, indem man Informationen über sie hinzufügt. Bislang fanden hauptsächlich die AIDS-Toten diese späte Würdigung.
Gestaltet wurde das Webprojekt „Hart Island“ von einem niederländischen Design-Büro, die Künstlerin Melinda Hunt betreibt die Recherche. Wer mehr über eine Person weiß, kann der Online-Datenbank Informationen und Bilder hinzufügen. Ein wirklich außergewöhnliches Projekt!
(Gefunden über PAGE online: „Insel der Toten: das Webprojekt »Hart Island«“. Siehe hier auch zu weiteren interessanten Webprojekten beispielsweise „Webdesign-Trends von früher“ und „Offline gehen!“. Über ein anderes erwähnenswertes Hilfsprojekt: „Grandiose Fotografien von Obdachlosen aus Chicago“.)
Das ist ein tolles Projekt.
Aber wo bleibt die Menschlichkeit, wenn ein solcher Friedhof von niemanden besucht werden kann. Niemand kann dem unbekannten Toten eine Blume aufs Grab legen, weil nur Totengräber erlaubt sind….
Man kann natürlich sagen, dass das ganz egal ist, aber es entspricht nicht dem, was nach meiner Meinung die Mehrheit der Menschen im Zusammenhang mit Tod und Sterben für richtig empfindet.
Nun ja, darüber, was „die Mehrheit der Menschen im Zusammenhang mit Tod und Sterben für richtig empfindet“, ließe sich trefflich streiten. In unserer westlichen Zivilisation sind Tod und Sterben Tabuthemen, besonders, aber nicht nur dann, wenn es sich um Obdachlose oder AIDS-Tote handelt – und um den eigenen Tod! Andere Zivilisationen gehen mit diesen Themen wesentlich unbefangener um.
Es ist aber inzwischen für Angehörige möglich, den Friedhof nach Anmeldung zu besuchen; die Stadt New York bezahlt sogar die Umbettung, wenn Angehörige das möchten, und es gibt Pläne, den Friedhof dauerhaft für die Öffentlichkeit zu öffnen. Interessant in diesem Zusammenhang ist übrigens auch, dass (schlecht bezahlte) Strafgefangene einer nahen Gefängnisinsel als Totengräber eingesetzt werden. Inzwischen soll aber eine private Landschaftsbaufirma mit der Durchführung der Beerdigungen beauftragt worden sein.
Nichtsdestotrotz ist es sehr interessant, sich auf der Website des Projekts einmal durch einige der Gräber „hindurchzuklicken“, besonders dann, wenn sich Daten über die Toten finden ließen. Ich bin zufällig auf die Leben von einem deutschen und einem rumänischen Migranten gestoßen, die jeweils Mitte der 1920er-Jahre in die USA eingewandert waren, und auf eine Frau, die mit 36 Jahren gestorben ist.
PS: Danke übrigens für den Kommentar; interessant, dass noch jemand auf solche relativ alten Beiträge kommt!