In der Wortwahl vergriffen: Vergleiche mit der Nazizeit

Deleaturzeichen

Auf Dis­kus­si­ons­sei­ten in den Medien oder in den (sozia­len) Netz­wer­ken tau­chen immer wie­der Ver­glei­che auf, die „Stim­mung machen“ sol­len. Dazu gehö­ren seit einer Weile Ver­glei­che mit der Nazi­zeit. Davon abge­se­hen, dass sich sol­che Ver­glei­che von vorn­her­ein ver­bie­ten soll­ten, tau­gen sie auch nichts.

Immer häu­fi­ger finde ich auf Medi­en­sei­ten, in Web­logs oder in den ach so sozia­len Netz­wer­ken Ver­glei­che mit der Nazi­zeit, in der wir uns angeb­lich befin­den. Damit soll wohl einer ver­meint­li­chen Befind­lich­keit Aus­druck ver­lie­hen wer­den, die sich gegen vie­les rich­ten kann. Mal gegen eine gefühlte Unter­drü­ckung der Mei­nungs­frei­heit, mal gegen eine Über­macht des Staa­tes, mal gegen die Par­teien. Und vie­les mehr. Doch tau­gen sol­che Ver­glei­che überhaupt?

Stimmungsmache aus einer tief rechten Ecke

Merkel hängen
Eine krude Mischung aus DDR- und Nazi­ver­glei­chen, ver­fasst in schlech­tes­tem Deutsch (Bildschirm-​Schnappschuss aus einem rechts­extre­men Netz­werk, eige­nes Werk)

Ähn­lich wie bei DDR-​Vergleichen wie etwa dem von der DDR 2.0 han­delt es hier­bei um Stim­mungs­ma­che aus einer ziem­lich rechts-​konservativen bis rechts­extre­men Ecke. Stim­mun­gen, die sich gegen die­sen Staat und seine freiheitlich-​demokratische Grund­ord­nung rich­ten. Ver­glei­che mit der Nazi­zeit wer­den gezo­gen, um damit aus­zu­drü­cken, dass es jetzt „so schlimm wie damals“ sei.

[…] wo liegt jetzt der Unter­schied zwi­schen "Kauft nicht bei Juden" ! und "Die AfD muß drau­ßen­blei­ben" !, Sie mora­li­scher Schizo? (Aus einer Post­karte an den Inten­dan­ten des Revue­thea­ters Friedrichstadt-​Palast, mit allen ortho­gra­fi­schen Feh­lern zitiert nach Das Erste, ttt – titel, the­sen, tem­pe­ra­mente: Der Kul­tur­kampf der AfD)

Über­haupt muss die Juden­ver­fol­gung immer wie­der dafür her­hal­ten, um auf ach so arme Deut­sche hin­zu­wei­sen, deren Mei­nungs­frei­heit angeb­lich unter­drückt werde. Dass sich sol­che Kom­men­ta­to­ren bei nächs­ter Gele­gen­heit als die schlimms­ten Anti­se­mi­ten äußern, fällt ihnen selbst am wenigs­ten auf. Oder sie erle­ben es nicht als einen Widerspruch.

Ähn­lich übel stellt sich dar, wenn Rechts­extreme sich selbst mit Men­schen gleich­set­zen, die gegen den Faschis­mus gekämpft oder zu des­sen Opfern wur­den. Oder (oft­mals falsch oder ver­dreht!) aus deren Wer­ken zitie­ren (siehe die „Stauffenberg-​Fraktion“ in obi­gem Bildschirm-​Schnappschuss oder das häu­fig falsch wie­der­ge­ge­bene Niemöller-​Zitat „Als die Nazis die Kom­mu­nis­ten hol­ten“).

Von Vogelschiss und Erinnerungskultur

Kom­men­tare auf Alice Wei­dels Facebook-​Seite (Bildschirm-​Schnappschuss: C. T., zum Ver­grö­ßern anklicken)

Davon abge­se­hen, dass Ver­glei­che mit der Nazi­zeit zumin­dest hart an der Ver­harm­lo­sung der Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus (§ 130 Abs. 3 StGB) lie­gen, zeu­gen sol­che Ver­glei­che von einer unglaub­li­chen Dumm­heit ihrer Autoren und man­geln­der Bil­dung. Wenn sie dann noch von einer „erin­ne­rungs­po­li­ti­schen Wende um 180 Grad“, von einem „Denk­mal der Schande“ (das Holocaust-​Mahnmal in Ber­lin, beide von einem Geschichts­leh­rer!) und von Hit­ler und den Nazis als „nur ein Vogel­schiss in über 1000 Jah­ren erfolg­rei­cher deut­scher Geschichte“ spre­chen, weiß man, woher der Wind weht. Ver­bre­chen der Wehr­macht wol­len sie nicht the­ma­ti­siert sehen, Hit­ler sei „ja nicht so schlimm“ gewe­sen und Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger wür­den viele heute gern wie­der ein­füh­ren (siehe die neben­ste­hen­den Kommentare).

Perfide Täter-​Opfer-​Umkehrung

Däm­mert Ihnen etwas? Es ist eine per­fide Täter-​Opfer-​Umkehrung, die Rechts­po­pu­lis­ten und ‑extreme betrei­ben! Mehr Frei­heit für die eigene Mei­nung for­dern Leute, die bei­des ansons­ten am liebs­ten abschaf­fen wür­den. Dass sich hin­ter sol­chen Kom­men­ta­to­rin­nen und Kom­men­ta­to­ren meist auto­ri­täts­ge­bun­dene Per­sön­lich­kei­ten mehr oder weni­ger gut ver­ste­cken, die zudem noch „in Wahn­sys­te­men sich stei­gern“, wusste schon Adorno. Ebenso vom Hass auf Intel­lek­tu­elle. Egal, ob es sich bei den Has­sen­den um stramme Alt- oder Neo­na­zis handelt.

Ärger­lich ist in die­sem Zusam­men­hang, dass sich sol­che Men­schen völ­lig unemp­fäng­lich für Bil­dung zei­gen. Hier ver­schwin­den keine Men­schen in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, wer­den will­kür­lich ver­haf­tet, gefol­tert und hin­ge­rich­tet, Par­teien, Gewerk­schaf­ten und die Presse sind nicht „gleich­ge­schal­tet“. Auch wenn sol­che Leute noch so laut und mit mög­lichst vie­len Aus­ru­fe­zei­chen zetern.

Über DIE Bil­dung näm­lich, über die SIE doch ver­fü­gen! Also seien Sie höchst vor­sich­tig, bevor Sie Ver­glei­che mit der Nazi­zeit zie­hen. Am bes­ten aber: gleich ganz unterlassen!

Siehe hier beispielsweise auch

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

5 Kommentare

  1. Ihr guter Bei­trag ist lei­der aktu­el­ler denn je, der­lei krude und erbärm­li­che Ver­glei­che fin­den sich in den Äuße­run­gen der irra­tio­na­len Quer­front der Impf­ver­sa­ger zuhauf, über­nom­men vom rech­ten Rand.

    1. Nun, wie ich beob­achte, ist diese Unsitte, Ver­glei­che mit der Nazi­zeit zu zie­hen, lei­der schon älter als die heu­tige Zeit der „ irra­tio­na­len Quer­front der Impf­ver­sa­ger“. Inzwi­schen glaube ich auch, dass sol­che Ver­glei­che nicht unbe­dingt nur „vom rech­ten Rand“ her­stam­men. Nur ist es so, dass poli­tisch rechte Ten­den­zen auch schon län­ger bis in die soge­nannte „bür­ger­li­che Mitte“ hin­ein­rei­chen; siehe hierzu die vie­len „Mitte-​Studien“ (hier eine schon ältere: „Der Nazi in uns“ in mei­nen Noti­zen). Zudem dürfte tat­säch­lich ein hohes Maß an man­geln­der Bil­dung dahin­ter­ste­cken – und schlicht und ein­fach pure Dummheit!

      Danke für Ihr Lob und den Kommentar!

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