Der 8. Mai: Befreiung oder Niederlage?

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In vielen Ländern ist der 8. Mai ein Feiertag, nur in Deutschland tut man sich schwer mit diesem Tag. Ist der 8. Mai nun ein Tag zum Gedenken an Befreiung oder Niederlage? Gar ein Tag der Scham und der Kapitulation? Oder einfach nur der Tag des Kriegsendes?

Der 8. Mai ist als Tag der Befreiung in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern ein Gedenk- und Feiertag. Es ist der Jahrestag des 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapi­tulation der deutschen Wehrmacht und damit dem Endes des Zweiten Welt­krieges in Europa. Zusätzlich wird der Befreiung vom National­sozialismus gedacht.

Die bedingungslose Kapitulation

Kapitulation-reims
Generaloberst Jodl, von Reichspräsident Dönitz dazu autorisiert, unterzeichnet am 7. Mai 1945 im Hauptquartier der Alliierten in Reims die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht (Unbekannter Fotograf/ PD-USGov-Military-Army)
Bei den Verhandlungen im Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (SHAEF) in Reims wurde am 7. Mai 1945 die bedingungs­lose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte vereinbart und vertraglich unterzeichnet. Als Zeitpunkt für die Einstellung aller Kampfhandlungen in Europa wurde 23.01 Uhr am folgenden Tag, dem 8. Mai, festgelegt.

Der 8. Mai wird in vielen Ländern teilweise als stiller Gedenktag und teilweise als Feiertag mit großer öffentlicher Beteiligung begangen. In der Bundesrepublik Deutsch­land hat sich für diesen Jahrestag allgemein der nüchtern-sachliche Begriff „Kriegsende“ eingebürgert.

Der 8. Mai als Gedenk- und Feiertag

Der Bevrijdingsdag in den Niederlanden

Intocht van het Canadese 1e Leger in de provincie Utrecht, Bestanddeelnr 900-2770
Die Befreiung von Utrecht durch Soldaten der First Canadian Army am 7. Mai 1945 (Unbekannter Fotograf/ Anefo)
In den Niederlanden wird der Bevrijdingsdag schon am 5. Mai begangen. Bereits am Vorabend, am 4. Mai, findet mit einer feier­lichen Kranzniederlegung zum Gedenken an die Opfer des National­sozialismus und des Zweiten Weltkriegs die Doden­herdenking statt.

Am 5. Mai 1945 verhandelten der kanadische General Charles Foulkes und der deutsche Ober­befehlshaber Johannes Blaskowitz im Beisein von Prinz Bernhard als Komman­dant der nieder­ländischen Streit­kräfte in den Ruinen eines weit­gehend zerbombten Hotels in Wageningen über die Kapitulation der Wehrmacht im noch besetzten Teil der Niederlande. Am 6. Mai 1945 schließlich wurden die vorbereiteten Bedingungen der Kapitulation für das gesamte Gebiet des „Reichs­kommissariats Niederlande“ unterzeichnet.

Weitere Länder

Auch in weiteren am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten begeht man den Jahrestag des Kriegsendes in Europa als Feiertag, so in Frankreich, Tschechien und der Slowakei.

In der Sowjetunion wurde der 9. Mai als Tag des Sieges als gesetzlicher Feiertag begangen. Aufgrund unterschiedlicher Zeitzonen erfolgte die Kapi­tulation gegenüber der Roten Armee erst nach Mitternacht MEZ und der Waffenstillstand trat so nach Moskauer Zeit (UTC+3) erst am 9. Mai in Kraft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion haben einige ihrer Nachfolgestaaten den 9. Mai als „Tag des Sieges“ als gesetzlichen Feiertag beibehalten.

Partigiani sfilano su automezzi a Bologna
Italienische Partisanen am 21. April 1945 in Bologna (Unbekannter Fotograf/ Wikimedia Commons)
In Italien wird der Tag der Befreiung Italiens schon am 25. April begangen. Am 25. April 1945 begannen im Norden mehrere bewaffnete Aufstände, die nicht nur den Vormarsch der Alliierten begünstigten, sondern auch, dass sich Städte wie Genua und Mailand ohne die Alliierten befreien konnten. Der Feiertag hat dort einen ähnlichen Stellenwert wie der italienische Nationalfeiertag.

In Frankreich nehmen aller­dings die Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs einen höheren Stellenwert gegenüber denen zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein.

Das Kürzel VE-Day (Victory in Europe Day, der „Sieg-in-Europa-Tag“) ist in den USA sowie den drei Commonwealth-Staaten Vereinigtes Königreich, Kanada und Australien üblich.

Der 8. Mai in Deutschland: Befreiung oder Niederlage?

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg

Nur in Deutschland tut man sich schwer mit einer „offiziellen“ Gedenkweise. Unmittelbar nach Ende des Krieges überwogen Verdrängung, aber auch reale materielle Not und der Wunsch nach raschem Wiederaufbau das Leben. Lediglich eine relativ geringe Anzahl der Menschen fühlte sich „befreit“. Dieser Tag bot deswegen lange Zeit keinen Bezugspunkt für eine Erinnerungspolitik und erfuhr auch sonst wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Er war noch lange ein Tag der Niederlage, der Kapitulation, der Katastrophe, gar der Demütigung, der Schmach. Vor allem für die Nazis selbst konnte dieser Tag natürlich keine Befreiung sein! Für sie war (und ist!) er ein Tag der Niederlage.

Die Sechzigerjahre

Mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt am Main, den Eichmann-Prozess in Jerusalem, den „68-ern” mit ihren Fragen nach der Nazi-Vergangenheit von (Groß)eltern und Professoren und den Filmen der „Holocaust“-Serie fand in Westdeutschland ein Umdenken statt.

Die Siebziger- und Achtzigerjahre

Nachdem der 8. Mai über viele Jahre kein Bezugspunkt in der Erinnerungspolitik war und auch ansonsten wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, änderte sich dies am 8. Mai 1970 anlässlich des 25. Jahrestages. An diesem Tag gab die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt als erste Bundesregierung eine offizielle Regierungserklärung im Deutschen Bundestag ab. Vertreter der CDU/CSU-Opposition versuchten dies zu verhindern und erklärten:

Niederlagen feiert man nicht

und

Schande und Schuld verdienen keine Würdigung.

In den 1970er-Jahren verstärkte sich die Aufmerksamkeit für den 8. Mai als politischem Gedenktag jedoch deutlich, doch es dauerte noch bis zum 40. Jahrestag, dem 8. Mai 1985, als der Deutsche Bundes­tag eine Gedenkstunde auf hohem protokollarischem Niveau veranstaltete. In deren Zuge bezeichnete Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) in seiner Rede den 8. Mai zwar als

Tag der Befreiung […] von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Er sei aber „kein Tag zum Feiern“.

Seit dieser Zeit wurde in der Bundesrepublik verstärkt darüber diskutiert, wofür der 8. Mai 1945 steht. Befreiung oder Niederlage? Während in der Nachkriegszeit der Aspekt der Niederlage im Vorder­grund stand, hat der Aspekt der Befreiung zunehmend an Gewicht gewonnen. Allerdings haben die Alliierten historisch nicht gegen das Deutsche Reich Krieg geführt, um es zu befreien, sondern um es militärisch zu besiegen! Befreit im Wortsinne durch alliierte Truppen wurden „lediglich“ Hunderttausende aus politischen, rassischen, religiösen und vielen anderen Gründen Gefangene in Zuchthäusern, Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene.

Das Jahr 2000: „Der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung“

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte am 8. Mai 2000 schließlich:

Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung gewesen ist – der Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft, von Völkermord und dem Grauen des Krieges.

Das Jahr 2020

Auch am heutigen 8. Mai, der sich zum 75. Mal wiederholt, gibt es noch immer keine Anstalten, diesen Tag zu einem nationalen Gedenk- und Feiertag zu machen.

Der 8. Mai: Befreiung oder Niederlage?

In einem Großteil der heutigen Gesellschaft dürfte der Konsens vorherrschen, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung ist. Wer von einem Tag der Niederlage spricht, glaubt ernsthaft, dass Nazi-Deutschland einen wie auch immer „berechtigten“ Krieg führte. Wer diesen Tag als einen Tag der Schmach sieht, sollte die Schmach eher darin suchen, nichts gegen ein verbrecherisches Regime getan zu haben, das bis zuletzt noch Kinder in einen Krieg schicken musste, der doch längst verloren war. Abgesehen von der Tatsache, dass die Führungsriege sich nur durch die Schmach des Suizids aus der „Affäre“ zu ziehen wusste!

Einen Tag der Demütigung kann nur sehen, wer die Demütigungen nicht wahrhaben will oder wollte, die das Deutsche Reich seinen Gegnern angetan hatte, sei es im Inneren oder im Äußeren. Eine (selbst verschuldete!) Katastrophe war nicht der 8. Mai 1945, sondern das, was all die Jahre zuvor geschah und zu dieser Kata­strophe mit Millionen von Toten führte.

Bleiben wir also beim Tag der Befreiung!

Weitere Verweise

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

3 Kommentare

  1. Die ein­zige Nie­der­lage fürs deut­sche Volk war die Ernen­nung Adolf Hit­lers zum Reichs­kanz­ler durch Paul Hin­den­burg mit all den schlim­men Fol­gen, wie die Umwand­lung der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie der Wei­ma­rer Repu­blik in eine Dik­ta­tur und vor allem das uner­mess­li­che Leid, das Mil­lio­nen von Men­schen durch die Nazis zuge­fügt wor­den ist. Die Befrei­ung vom Nazi-​Terror durch die Alli­ier­ten sollte man ganz sicher nicht als Nie­der­lage anse­hen, son­dern die­sen Tag, der wie­der eine Demo­kra­tie ermög­licht hat, zum Fei­er­tag machen, dem kann ich nur zustimmen.

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