Wir alle (?) kennen (und benutzen) es: das „Äh“. Obwohl mehr oder weniger verpönt, leistet ein Radiobeitrag nun jedoch Gerechtigkeit für das „Äh“.
Gerechtigkeit für das „Äh“
Sie haben es sicherlich noch im Ohr: das wohl berühmteste „Äh“ der neueren deutsch(-deutsch)en Geschichte. Am 9. November 1989 verkündete der damalige Staatssekretär der DDR (offiziell „Sekretär des ZK der SED für Informationswesen“) Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz im Internationalen Pressezentrum der DDR-Regierung im Hause Mohrenstraße 36–37 den Beginn der Reisefreiheit in der DDR. Da Schabowski bei der Besprechung des Entwurfs erst verspätet eintraf, musste er während dieser Pressekonferenz auf die Frage eines Journalisten, ab wann diese Regelung einträfe, improvisieren und in seiner Antwort gleich mehrfach auf „Ähs“ zurückgreifen.
Von vielen als Resultat von Unsicherheit, mangelnder Konzentration oder Vorbereitung erachtet, wie es in diesem Beispiel auch zutraf, lässt sich das aber nicht auf alle „Ähxperten“ anwenden.
Das „Äh“ ist ein Saboteur der Verständigung. Es stellt sich irgendwo im Satz quer und behindert den Lauf der Worte und Gedanken. Klar, dass einem solchen kommunikativen Störenfried bisher kaum Beachtung geschenkt wurde.
Dem will der Autor nun entgegentreten. Aus der Sicht eines Radioredakteurs, der jahrelang „Ähs“ aus Redebeiträgen gelöscht hatte, weil sie kostbare Sendezeit beanspruchten, leistet er nun Gerechtigkeit für das „Äh“. Anhand vieler Beispiele erläutert er, dass es sich beim „Äh“ nicht nur um einen einfachen Fülllaut handelt, sondern es durchaus verschiedene Formen dieser Hesitation (ein Verzögerungslaut) gibt. Eine „Metaphysik des Stammelns“, sozusagen. So lässt er beispielsweise eine Linguistin zu Wort kommen und sogar Kleist darf zu dessen Verteidigung beitragen; siehe „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“.
Sie erklären uns, dass es verschiedene Arten von „Ähs“ gibt, „zum Beispiel: das nachdenkliche ‚Äh‘, das Angst-‚Äh‘, das selbstbewusste ‚Äh‘, das schnöselige ‚Äh‘, das professorale ‚Äh‘,“ und warum wir „äh“ und nicht etwa „om“ oder „hurz“ sagen. Und natürlich kommen wahre Großmeister des „Ähs“ wie Edmund Stoiber und Joachim „Jogi“ Löw zu Wort. Diese und ein weiterer Großmeister, Boris Becker, sind deshalb oft ins Fadenkreuz des Kabaretts und der Satire geraten.
Der sowohl interessante als auch humorvolle Radiobeitrag vom 10. Februar 2024: MDR Kultur: „Gerechtigkeit für das ‚Äh‘“ von Jörg Sobiella (eine knappe halbe Stunde).
Siehe auch
- Wikipedia: Verzögerungslaut,
- Wikipedia: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden
und hier zu einem ähnlichen Thema
- „Genau!“ und Das ‚Powerpoint-Genau‘“!
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