Wenn alle Menschen eine gemeinsame Sprache sprächen, würden sie sich besser verstehen und keine Kriege führen. Das war sein Gedanke, als Ludwik Zamenhof die Plansprache Esperanto erfand. Doch deren Verbreitung wird immer wieder verhindert.
Ludwik Lejzer Zamenhof, ein polnisch-jüdischer Augenarzt, wird 1859 in Białystok geboren, das damals zum zaristischen Russland gehört. Er wächst in einer vielsprachigen und, wie man heute sagen würde: multikulturellen Umgebung auf. Seine Familie spricht Russisch und Jiddisch; in der Stadt wird aber auch Polnisch, Ukrainisch, Litauisch, Belarussisch und Deutsch gesprochen. Jedoch bildeten sich Ghetto-artige Strukturen; es gab körperliche Auseinandersetzungen und Pogrome. Die interethnischen Konflikte wollte er durch eine internationale Sprache lösen helfen.
Zamenhof, der Begründer des Esperanto
Geboren als Eliezer Levi Samenhof, in Deutsch auch Ludwig Lazarus Samenhof oder Ludwig L. Zamenhof, sprach neben Russisch und Jiddisch auch fließend Deutsch, zudem Polnisch und Französisch. In der Schule lernte er Griechisch, Latein und Englisch. Außerdem muss er Hebräisch gut beherrscht haben, denn er übersetzte später das Alte Testament ins Esperanto.
Unter seinem Pseudonym „Doktoro Esperanto“ (deutsch: Doktor Hoffender; derjenige, der hofft) begründete Zamenhof 1887 die Plansprache Esperanto, indem er ein erstes Lehrbuch veröffentlichte: eine minimalistische Struktur der Sprache, die er Internacia Lingvo, Internationale Sprache, nennt. Das „Unua Libro“, das „Erste Bucħ“, erschien am 26. Juli 1887 in Warschau auf Russisch. Bereits im selben Jahr folgten Übersetzungen auf Polnisch, Deutsch und Französisch. Die 40-seitige Broschüre enthält neben den „16 Regeln“ (der grammatischen Skizze) und einer Wörterliste mit etwas über 900 Wortstämmen der Sprache auch das Vaterunser, den Anfang der Genesis, einen Musterbrief, zwei seiner Gedichte und Auszüge aus Gedichten von Heinrich Heine als Beispieltexte.
Neben der Grammatik für Esperanto verfasste er auch eine für das Jiddische. Seinen Geburtstag, den 15. Dezember, feiern Esperanto-Sprecher/-innen bis heute als Zamenhoftag.
Die Plansprache Esperanto
Ziel war es, dass die Sprache „sehr leicht sein [muss], so dass sie jeder so zu sagen spielend erlernen kann“. Zudem galt es
[e]in Mittel zu finden die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden, und dieselbe zu ermuntern sofort und ‚en masse‘ von dieser Sprache, als von einer lebenden Sprache, Gebrauch zu machen, nicht aber nur mit einem Schlüssel dazu in der Hand, oder nur im äussersten Nothfalle. (Siehe zur Quelle den Verweis zur Österreichischen Nationalbibliothek unter „Weitere Verweise“!)
Das erste Ziel soll durch folgende Mittel erreicht werden:
- Die Schreibweise ist phonematisch. Jeder Buchstabe hat nur eine Aussprache.
- Es gibt (nicht wie im Deutschen: der Löffel, die Gabel, das Messer) kein grammatisches Geschlecht.
- Es gibt nur eine Deklination.
- Es gibt nur eine Konjugation.
- Die Sprache ist agglutinierend, d. h. alle Wortstämme bleiben bei Konjugation und Deklination unverändert.
- Es gibt nur sehr wenige grammatische Regeln und diese gelten ohne Ausnahmen.
Esperanto setzt sich zu etwa 75 Prozent aus romanischen Sprachen zusammen, 20 Prozent ist germanischen Ursprungs und der Rest stammt aus verschiedenen, hauptsächlich slawischen Sprachen. Verwendet werden lateinische Buchstaben.
Die Entwicklung des Esperanto bis heute
Das Esperanto-Lehrbuch verbreitet sich schnell. Die Lernenden stammen aus der Arbeiterschaft, dem liberalen Bürgertum, aus anarchistischen und pazifistischen Kreisen. In Osteuropa, Deutschland, Frankreich, Japan und China werden erste Vereine gegründet. Im August 1905 fand in Boulogne-sur-Mer der erste internationale Esperanto-Weltkongress statt. Gandhi, Tolstoi und viele weitere unterstützen die Sprache als Beitrag zum Weltfrieden. Seitdem findet jedes Jahr ein solcher an einem anderen Ort statt. 1908 gründete sich der Universala Esperanto-Asocio (UEA), der Esperanto-Weltbund.
Vor fast genau 100 Jahren schließlich, am 18. April 1922, fand in Genf eine Konferenz des Völkerbundes zum Thema Esperanto statt. Wenige Jahre nach dem fürchterlichen Erlebnis des Ersten Weltkriegs diskutieren dessen Mitglieder darüber, ob es als Sprache des Völkerbundes und als Schulfach eingeführt werden soll. Doch die noch relativ junge Plansprache kommt gegen die „gewachsenen“ und verbreiteten natürlichen Sprachen Englisch und Französisch nicht an. Zudem wird sie später im nationalsozialistischen Deutschland als „jüdisch-bolschewistisch“ und in der Sowjetunion der Stalin-Ära als „ausländisch“ verboten, deren Sprechende gar verfolgt, in Straflager gezwungen oder gleich ermordet.
Trotzdem ist Esperanto bis heute nicht verschwunden. Schriftlich und mündlich verwenden es schätzungsweise zwischen einer halben und 2 Millionen Sprecher/-innen weltweit. Es ist damit die am weitesten verbreitete Plansprache.
Weitere Verweise
- WDR 5, ZeitZeichen: „18. April 1922: Konferenz des Völkerbundes zum Thema Esperanto“ (15 Minuten),
- Wikipedia: „Esperanto“ mit vielen externen Verweisen,
- Wikipedia: „Sprachbau des Esperanto“,
- Wikipedia: Ludwik Lejzer Zamenhof,
- Österreichische Nationalbibliothek: Vorrede „Internationale Sprache“,
- Esperanto in Deutschland
- und hier „Wie bitte? Über Sprachen in der EU“ und „Bist du meschugge?“ über die jiddische Sprache.