Zwei (Schlag)wörter tauchen derzeitig häufig in (politischen) Diskussionen auf: Wokeness und woke. Doch was bedeuten diese Wörter eigentlich? Wir erklären sie. Auch, woher diese Wörter eigentlich stammen.
Zurzeit mokieren sich viele über eine Wokeness und woke (sein). Es fällt hierbei auf, dass die Kritik daran fast immer aus konservativen bis rechten und rechtsextremen Kreisen stammt. Doch erklären wir diese Begriffe doch erst einmal. Klar ist bislang nämlich nur, dass diese aus dem Englischen stammen und übersetzt „aufgewacht“ bzw. „wachsam“ resp. „Wachsamkeit“ bedeuten.
Der Duden über Wokeness und woke
Der Duden liefert folgende Definition für woke:
in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung.
Und zur Herkunft:
englisch woke, eigentlich = (er, sie, es) erwachte, im amerikanischen Slang für englisch woken = aufgewacht, erweckt
Zur Wokeness:
hohe (gelegentlich engstirnige oder mit militantem Aktivismus verbundene) Sensibilität für insbesondere rassistische, sexistische Diskriminierung, soziale Ungleichheit u. Ä.
Daher dürfte schon einmal klar sein, dass es sich um „linke“, also von Menschen aus einem eher politisch links geprägten Umfeld verwendete Begriffe handelt. Denn welche Recht(sextrem)en sind schon wachsam gegenüber Rassismus, Sexismus und Ungleichheit?
Zur Geschichte der Begriffe
Auch wenn es den Anschein haben mag, dass es sich um zeitgenössische Begriffe handelt, so haben Wokeness und woke ihren Ursprung doch schon im afroamerikanischen Englisch der 1930er-Jahre. Woke beschriebt ein „wachsames“ Bewusstsein gegenüber mangelnder sozialer Gerechtigkeit und Rassismus.
Eine der ersten Erwähnungen findet das Wort in der Begründung des afroamerikanischen Blues-Sängers Hudson „Huddie“ Ledbetter, auch „Lead Belly“ oder „Leadbelly“ genannt, warum er ein Lied über den Justizskandal während der Prozesse gegen die sogenannten „Scottsboro Boys“, neun männliche Jugendliche afroamerikanischer Herkunft im Alter von zwölf bis zwanzig Jahren, die 1931 beschuldigt wurden, zwei weiße Mädchen auf einem durch Alabama fahrenden Güterzug vergewaltigt zu haben, geschrieben hatte:
[…] so I advise everybody, [to] be a little careful when they go along through there—best stay woke, keep their eyes open.
(Das Lied und sein Kommentar findet sich übrigens in den Archiven der Smithsonian Folkways Collection auf YouTube.)
Weitere Erwähnungen der Wörter finden sich danach bis in die Black-Lives-Matter-Bewegung, die woke ab 2014 vermehrt aufgriff und so ins öffentliche Bewusstsein brachte.
2017 nahm das Oxford English Dictionary den Begriff woke auf, der Duden 2021.
Die folgende Erweiterung der Definition
Während die Begriffe weitere Verbreitung fanden, fand auch eine Erweiterung von deren Bedeutungen statt. Sie wurden nun nicht mehr nur mit antirassistischem Aktivismus, sondern mit progressiver linker Politik, mit Identitätspolitik allgemein bzw. mit einem Bewusstsein für Ungerechtigkeiten, Ungleichheit und Unterdrückung von Minderheiten verknüpft. Womit schließlich auch Formulierungen an die Politik verbunden waren.
Doch woher kommen nun die Abwertung und die Erzeugung einer „moralischen Panik über Wokeness“ durch Konservative bis hin zu Rechtsextremen?
Der Kampf gegen Wokeness und woke
Bemühungen gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Transphobie werden inzwischen ja geradezu als abartig, verrückt, gefährlich und als unmittelbare Bedrohung für die heimische Lebensweise dargestellt, in den USA gar als Antiamerikanismus und Sozialismus!
Doch bleiben wir im deutschen Sprachraum. Hier werden zusammengesetzte Begriffe wie „Woke-Angriff”, „Woke-Irrsinn“ oder „Woke-Culture“ auf abwertende Weise genutzt, zum Beispiel von einer „Zeitung“, die diese Beschreibung eigentlich gar nicht verdient. Aber auch seit der verlorenen Bundestagswahl 2021 (!) vonseiten der sogenannten „christlichen“ Parteien.
Interessant hierbei ist jedoch, dass „woke“ als Selbstbeschreibung entsprechender Personen oder Gruppen im deutschen Diskurs kaum vorkomme, das Wort als „Signalwort des reaktionären Backlashs jedoch omnipräsent“ (Hannes Soltau im Tagesspiegel: „Black Lives Matter, MeToo & Fridays for Future: Das Gespött über ‚Wokeness‘ ist selbstentlarvend“ vom 11. April 2021) sei.
Reaktionäre Bestrebungen
Da mir bislang kein einziges Argument untergekommen ist, das den Kampf gegen Wokeness vernünftig zu begründen in der Lage ist, kann nur ein Backlash (deutsch für „Gegenschlag, Rückschlag“) vermutet werden: reaktionäre Bestrebungen, die gegen alle als fortschrittlich erachteten Entwicklungen gerichtet sind und für die Rückkehr konservativer Wertvorstellungen und die Stärkung entsprechender politischer Kräfte bei gleichzeitiger Verächtlichmachung gegenteiliger gerichtet sind. Häufig werde hierbei auch eine Wut über reale (ökonomische) Problemlagen aufgegriffen und „identitär umgedeutet“, d. h. als Folge eines „kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Fremdeinflusses“ dargestellt (Stichwort: Antisemitismus!).
Interessant hierbei ist zusätzlich, dass der Gebrauch von „woke“ als Selbstbeschreibung inzwischen rückläufig ist und zunehmend durch versachlichende Beschreibungen, die sich auf soziale Gerechtigkeit und Einfühlungsvermögen beziehen, ersetzt werden.
Linke Kritik an der Wokeness
Doch es gibt auch (vielfach berechtigte) „linke“ Kritik an der Wokeness. So etwa, dass das woke Denken mit Blick auf Identitäten Anteile von Stammesdenken habe. Dass der Universalismus der traditionellen Linken, nach dem jeder Mensch gleich viel wert sei und gleiche Rechte habe, einem neuen Tribalismus geopfert werde. Oder dass Menschen auf ihre Opferrolle reduziert werden würden. Fragen danach, ob Weiße das Recht hätten, sich für die Rechte Schwarzer einzusetzen, ob man Reggae spielen oder Dreadlocks tragen dürfe, ohne jamaikanische Wurzeln zu haben, usw., verwirren viele eigentlich Wohlmeinende und stoßen sie ab.
Wokeness und woke: ein Fazit
Eine Wachsamkeit und ein Engagement gegen Diskriminierung jeglicher Art sollte eigentlich selbstverständlich sein, auch wenn man sich hierbei nicht als Teil einer woken Bewegung sieht! Sofern es eine solche überhaupt gibt.
Weitere Verweise
- Wikipedia: Woke
- Wikipedia: Woke (englisch, aber sehr viel ausführlicher als der deutsche Artikel)
- „In der Wortwahl vergriffen: rechte Sprache in den Medien“