Wokeness und woke: Was bedeutet das eigentlich?

Fragezeichen

Zwei (Schlag)wörter tau­chen der­zei­tig häu­fig in (poli­ti­schen) Dis­kus­sio­nen auf: Woke­ness und woke. Doch was bedeu­ten diese Wör­ter eigent­lich? Wir erklä­ren sie. Auch, woher diese Wör­ter eigent­lich stammen.

Zur­zeit mokie­ren sich viele über eine Woke­ness und woke (sein). Es fällt hier­bei auf, dass die Kri­tik daran fast immer aus kon­ser­va­ti­ven bis rech­ten und rechts­extre­men Krei­sen stammt. Doch erklä­ren wir diese Begriffe doch erst ein­mal. Klar ist bis­lang näm­lich nur, dass diese aus dem Eng­li­schen stam­men und über­setzt „auf­ge­wacht“ bzw. „wach­sam“ resp. „Wach­sam­keit“ bedeuten.

Der Duden über Wokeness und woke

Der Duden lie­fert fol­gende Defi­ni­tion für woke:

in hohem Maß poli­tisch wach und enga­giert gegen (ins­be­son­dere ras­sis­ti­sche, sexis­ti­sche, soziale) Diskriminierung.

Und zur Herkunft:

eng­lisch woke, eigent­lich = (er, sie, es) erwachte, im ame­ri­ka­ni­schen Slang für eng­lisch woken = auf­ge­wacht, erweckt

Zur Woke­ness:

hohe (gele­gent­lich eng­stir­nige oder mit mili­tan­tem Akti­vis­mus ver­bun­dene) Sen­si­bi­li­tät für ins­be­son­dere ras­sis­ti­sche, sexis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung, soziale Ungleich­heit u. Ä.

Daher dürfte schon ein­mal klar sein, dass es sich um „linke“, also von Men­schen aus einem eher poli­tisch links gepräg­ten Umfeld ver­wen­dete Begriffe han­delt. Denn wel­che Recht(sextrem)en sind schon wach­sam gegen­über Ras­sis­mus, Sexis­mus und Ungleichheit?

Zur Geschichte der Begriffe

Marcia Fudge with Stay Woke Vote t-shirt in 2018
Die US-​Politikerin Mar­cia Fudge 2018 mit einem T‑Shirt mit der Auf­schrift „Stay Woke, Vote“ („Bleib wach­sam, wähle“) (Bild: Mar­cia Fudge über Twit­ter, gemeinfrei)

Auch wenn es den Anschein haben mag, dass es sich um zeit­ge­nös­si­sche Begriffe han­delt, so haben Woke­ness und woke ihren Ursprung doch schon im afro­ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch der 1930er-​Jahre. Woke beschriebt ein „wach­sa­mes“ Bewusst­sein gegen­über man­geln­der sozia­ler Gerech­tig­keit und Rassismus.

Eine der ers­ten Erwäh­nun­gen fin­det das Wort in der Begrün­dung des afro­ame­ri­ka­ni­schen Blues-​Sängers Hud­son „Hud­die“ Led­bet­ter, auch „Lead Belly“ oder „Lead­belly“ genannt, warum er ein Lied über den Jus­tiz­skan­dal wäh­rend der Pro­zesse gegen die soge­nann­ten „Scotts­boro Boys“, neun männ­li­che Jugend­li­che afro­ame­ri­ka­ni­scher Her­kunft im Alter von zwölf bis zwan­zig Jah­ren, die 1931 beschul­digt wur­den, zwei weiße Mäd­chen auf einem durch Ala­bama fah­ren­den Güter­zug ver­ge­wal­tigt zu haben, geschrie­ben hatte:

[…] so I advise ever­y­body, [to] be a little careful when they go along through there—best stay woke, keep their eyes open.

(Das Lied und sein Kom­men­tar fin­det sich übri­gens in den Archi­ven der Smit­h­so­nian Folk­ways Coll­ec­tion auf YouTube.)

Wei­tere Erwäh­nun­gen der Wör­ter fin­den sich danach bis in die Black-​Lives-​Matter-​Bewegung, die woke ab 2014 ver­mehrt auf­griff und so ins öffent­li­che Bewusst­sein brachte.

2017 nahm das Oxford Eng­lish Dic­tion­ary den Begriff woke auf, der Duden 2021.

Die folgende Erweiterung der Definition

Wäh­rend die Begriffe wei­tere Ver­brei­tung fan­den, fand auch eine Erwei­te­rung von deren Bedeu­tun­gen statt. Sie wur­den nun nicht mehr nur mit anti­ras­sis­ti­schem Akti­vis­mus, son­dern mit pro­gres­si­ver lin­ker Poli­tik, mit Iden­ti­täts­po­li­tik all­ge­mein bzw. mit einem Bewusst­sein für Unge­rech­tig­kei­ten, Ungleich­heit und Unter­drü­ckung von Min­der­hei­ten ver­knüpft. Womit schließ­lich auch For­mu­lie­run­gen an die Poli­tik ver­bun­den waren.

Doch woher kom­men nun die Abwer­tung und die Erzeu­gung einer „mora­li­schen Panik über Woke­ness“ durch Kon­ser­va­tive bis hin zu Rechtsextremen?

Der Kampf gegen Wokeness und woke

CPAC 2022 con Hermann Tertsch y Victor Gonzalez. (51915410188)
Donald Trump auf der Con­ser­va­tive Poli­ti­cal Action Con­fe­rence CPAC in Flo­rida 2022 vor dem Slo­gan „Awake not Woke“ („Wach, nicht woke“) (Bild: Vox España, Her­mann Tertsch und Vic­tor Gon­zá­lez, über Wiki­me­dia Commons)

Bemü­hun­gen gegen Ras­sis­mus, Sexis­mus, Homo­pho­bie oder Trans­pho­bie wer­den inzwi­schen ja gera­dezu als abar­tig, ver­rückt, gefähr­lich und als unmit­tel­bare Bedro­hung für die hei­mi­sche Lebens­weise dar­ge­stellt, in den USA gar als Anti­ame­ri­ka­nis­mus und Sozialismus!

Doch blei­ben wir im deut­schen Sprach­raum. Hier wer­den zusam­men­ge­setzte Begriffe wie „Woke-​Angriff”, „Woke-​Irrsinn“ oder „Woke-​Culture“ auf abwer­tende Weise genutzt, zum Bei­spiel von einer „Zei­tung“, die diese Beschrei­bung eigent­lich gar nicht ver­dient. Aber auch seit der ver­lo­re­nen Bun­des­tags­wahl 2021 (!) von­sei­ten der soge­nann­ten „christ­li­chen“ Parteien.

Inter­es­sant hier­bei ist jedoch, dass „woke“ als Selbst­be­schrei­bung ent­spre­chen­der Per­so­nen oder Grup­pen im deut­schen Dis­kurs kaum vor­komme, das Wort als „Signal­wort des reak­tio­nä­ren Back­lashs jedoch omni­prä­sent“ (Han­nes Sol­tau im Tages­spie­gel: „Black Lives Mat­ter, MeToo & Fri­days for Future: Das Gespött über ‚Woke­ness‘ ist selbst­ent­lar­vend“ vom 11. April 2021) sei.

Reaktionäre Bestrebungen

Da mir bis­lang kein ein­zi­ges Argu­ment unter­ge­kom­men ist, das den Kampf gegen Woke­ness ver­nünf­tig zu begrün­den in der Lage ist, kann nur ein Back­lash (deutsch für „Gegen­schlag, Rück­schlag“) ver­mu­tet wer­den: reak­tio­näre Bestre­bun­gen, die gegen alle als fort­schritt­lich erach­te­ten Ent­wick­lun­gen gerich­tet sind und für die Rück­kehr kon­ser­va­ti­ver Wert­vor­stel­lun­gen und die Stär­kung ent­spre­chen­der poli­ti­scher Kräfte bei gleich­zei­ti­ger Ver­ächt­lich­ma­chung gegen­tei­li­ger gerich­tet sind. Häu­fig werde hier­bei auch eine Wut über reale (öko­no­mi­sche) Pro­blem­la­gen auf­ge­grif­fen und „iden­ti­tär umge­deu­tet“, d. h. als Folge eines „kul­tu­rel­len, poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Fremd­ein­flus­ses“ dar­ge­stellt (Stich­wort: Antisemitismus!).

Inter­es­sant hier­bei ist zusätz­lich, dass der Gebrauch von „woke“ als Selbst­be­schrei­bung inzwi­schen rück­läu­fig ist und zuneh­mend durch ver­sach­li­chende Beschrei­bun­gen, die sich auf soziale Gerech­tig­keit und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen bezie­hen, ersetzt werden.

Linke Kritik an der Wokeness

Doch es gibt auch (viel­fach berech­tigte) „linke“ Kri­tik an der Woke­ness. So etwa, dass das woke Den­ken mit Blick auf Iden­ti­tä­ten Anteile von Stam­mes­den­ken habe. Dass der Uni­ver­sa­lis­mus der tra­di­tio­nel­len Lin­ken, nach dem jeder Mensch gleich viel wert sei und glei­che Rechte habe, einem neuen Tri­ba­lis­mus geop­fert werde. Oder dass Men­schen auf ihre Opfer­rolle redu­ziert wer­den wür­den. Fra­gen danach, ob Weiße das Recht hät­ten, sich für die Rechte Schwar­zer ein­zu­set­zen, ob man Reg­gae spie­len oder Dre­ad­locks tra­gen dürfe, ohne jamai­ka­ni­sche Wur­zeln zu haben, usw., ver­wir­ren viele eigent­lich Wohl­mei­nende und sto­ßen sie ab.

Wokeness und woke: ein Fazit

Eine Wach­sam­keit und ein Enga­ge­ment gegen Dis­kri­mi­nie­rung jeg­li­cher Art sollte eigent­lich selbst­ver­ständ­lich sein, auch wenn man sich hier­bei nicht als Teil einer woken Bewe­gung sieht! Sofern es eine sol­che über­haupt gibt.

Weitere Verweise

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

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