In der Wortwahl vergriffen: hartzen

Deleaturzeichen

Hartzen, Hartz IV, Hartzler, Hartz-IV-Bezieher usw.: Sie alle haben diese Wörter schon gehört oder benutzen sie sogar. Schön sind diese Wörter nicht, davon abgesehen, dass sie teilweise sogar falsch sind. Daher wird es Zeit, diese Wörter aus dem Wortschatz zu streichen!

Als Hartz I bis IV wird umgangssprachlich ein Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der deutschen Arbeitsmarktpolitik bezeichnet. Dieser wurde im Jahr 2002 im Auftrag der Bundesregierung von der Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt unter dem Vorsitz des damaligen VW-Vorstands Peter Hartz erarbeitet. Mit Harz, sei es dem in Bäumen, sei es dem Gebirge, hat das also nichts zu tun.

Hartz IV oder Arbeitslosengeld?

Bundesarchiv Bild 183-B0527-0001-772, Berlin, Friseur-Salon, Angebot für Arbeitslose
Hartzen ging es damals noch nicht: Aushang an einem Friseursalon, der auf Sonderpreise für Erwerbslose hinweist. Auch Gewerbetreibende haben sich 1927 mit ihren Preisen der großen Arbeitslosigkeit anpassen müssen, um noch existieren zu können. (Röhnert, Bundesarchiv/ Wikimedia Commons)
Teile dieser Reformvorschläge wurden in den Folgejahren umgesetzt. Hartz IV ist die verbreitete, aber inoffizielle Bezeichnung für das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Hiermit ist in dem vor allem die finanzielle Grundsicherung für erwerbsfähige Arbeitslose geregelt. Von diesem Kurzwort wurde, von wem auch immer, das Verb hartzen abgeleitet, das umgangssprachlich in der Bedeutung von „von Hartz IV leben“ verwendet wird.

Wer jedoch arbeitslos ist, weiß, dass er/sie nicht „Hartz IV“ bezieht, sondern „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“! Wem das zu lang ist, kann auch „Arbeitslosengeld II“ (Alg II) sagen. Insofern ist „Hartz-IV-Bezieher“ schlichtweg falsch, auch weil: Als Arbeitsloser beziehe ich nämlich nicht das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, sondern allenfalls Leistungen nach diesem Gesetz bzw. (präziser:) nach einer der Reformen dieses Gesetzes, nämlich der vierten!

„Hartz IV“ Wort und „hartzen“ Jugendwort des Jahres

„Hartz IV“ wurde 2004 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt, „hartzen“ 2009 unter der Leitung des Langenscheidt-Verlags zum Jugendwort des Jahres. Letzteres brachte dem Verlag viel Schelte ein. Sowohl der Verlag und die Wahlen allgemein als auch besonders die Wahl dieses Worts seien äußerst kritikwürdig. Letztere werfe „kein gutes Licht auf die Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit“ und sei „sogar sozialdarwinistisch grundiert“, schrieb Hendrik Werner 2009 in Die Welt:

Dabei ist die neue Begriffsbesetzung in den Mündern Heranwachsender deutlich negativ, wenn nicht sogar sozialdarwinistisch grundiert: Wer „hartzen“ sagt und „gammeln“ meint, hat allem Anschein nach keine differenzierte Vorstellung von all den Widrigkeiten, Demütigungen und Frustrationen, die eine ungewollte Lebensphase im Zeichen von Hartz IV bzw. Arbeitslosengeld II mit sich bringen kann. (Hendrik Werner: „Jugendwort des Jahres: ‚Hartzen‘ zeigt die Tristesse der Gesellschaft“, Die Welt, 1. Januar 2009)

Hartzen: Das muss nicht sein!

Auch wenn viele, sogar eigentlich seriöse Medien, und zumindest die Online-Ausgabe des Duden das Verb hartzen übernommen haben, müssen Sie das jedoch nicht tun, wenigstens dann nicht, wenn Sie beispielsweise als Journalist seriös über das Thema Arbeitslosigkeit schreiben wollen. So viel Bildung muss sein!

(Siehe auch: Duden – Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle, 8. Auflage, Berlin 2016)

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

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