Schwarze Schwäne: Immer öfter ist an den Börsen von ihnen die Rede. Der Ausdruck nach der Theorie von Nassim Taleb besagt, dass bislang für unmöglich gehaltene Ereignisse eintreten können. Diese Metapher ist jedoch schon alt und außerdem zu schön, um sie allein den Bankern und Börsianern zu überlassen. Nutzen wir sie!
Alle Schwäne sind weiß. Davon waren die Europäer bis ins 17. Jahrhundert überzeugt. Dann wurde Australien entdeckt, wo es schwarze Schwäne gibt. Was keiner für möglich gehalten hatte, war auf einmal Realität. Heute ist der Begriff „schwarzer Schwan“ ein Synonym dafür, dass Dinge, die man sich nicht vorstellen kann, plötzlich eintreten und Realität werden (können).
Die ersten schwarzen Schwäne
Nachdem Willem de Vlamingh 1697 in Westaustralien tatsächlich schwarze Schwäne gesehen und weitere Reisende über die schwarzen Schwäne Australiens berichtet hatten, wurde die Redeweise zunächst in der englischen Sprache zur Metapher eines zwar unwahrscheinlichen, aber möglichen Ereignisses. Bei John Stuart Mill und später Karl Popper diente der schwarze Schwan als Beispiel für eine deduktive Falsifizierung.
Der schwarze Schwan bei Juvenal
Das Bild vom „schwarzen Schwan“ als gänzlich unerwartetes Ereignis geht jedoch auf den altrömischen Satiriker Juvenal zurück. In seinen Saturae nennt er eine treue Ehefrau rara avis in terris, nigroque simillima cygno („ein seltener Vogel in allen Ländern, am ähnlichsten einem schwarzen Schwan“; Satiren VI, 161). Später spricht er auch vom „weißen Raben“: Felix ille tamen corvo quoque rarior albo („Ein solcher Glückspilz ist aber seltener als ein weißer Rabe“; Satiren VII, 202).
Schwarze Schwäne bei Nassim Taleb
Den Begriff „Schwarzer Schwan“ verwendete der Publizist, Forscher in den Bereichen Statistik, Zufall und Erkenntnistheorie und ehemalige Finanzmathematiker Nassim Nicholas Taleb erstmals in seinem 2001 erschienenen Buch „Fooled by Randomness“, das sich auf Ereignisse der Finanzgeschichte bezieht. Im seinem Bestseller „Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ bezeichnet er wesentliche Entdeckungen, geschichtliche Ereignisse und künstlerische Errungenschaften als „Schwarze Schwäne“, wobei sich die Metapher auf positive wie negative Ereignisse beziehen kann.
Schwarze Schwäne gäbe es viel häufiger als wir denken, unterschätzten aber systematisch ihre gewaltigen Folgen, so Taleb. Der erstaunliche Erfolg von Google sei ein positiver „Schwarzer Schwan“, aber auch der Siegeszug des Internets. Die Terrorattacken vom 11. September 2001 und die globalen Finanzkrisen hingegen seien negative. Wer hätte allen Ernstes vorher mit solchen Ereignissen gerechnet?
„Schwarze Schwäne“: groß oder klein?
Taleb verwendet in seinem Buch für die Metapher ausschließlich die Großschreibung des Adjektivs „schwarz“, ebenso wie übrigens der Titel von Martin Walsers Drama „Der Schwarze Schwan“. Da der Ausdruck aber sowohl als Metapher als auch biologisch kein feststehender bzw. korrekter Begriff ist, schreiben Sie ihn klein, wenn Sie schwarze Schwäne meinen. Oder gegebenenfalls in Anführungszeichen, wenn Sie ihn als Metapher gebrauchen!
Schwarze Schwäne biologisch gesehen
In der Biologie sind schwarze Schwäne, vor allem auch Trauerschwan (Cygnus atratus) oder Schwarzschwan genannt, eine monotypische Vogelart aus der Gattung der Schwäne (Cygnus) und der Familie der Entenvögel (Anatidae). Sie sind die einzige fast völlig schwarze Schwanenart und haben außerdem den längsten Hals aller Schwäne.
Das natürliche Verbreitungsgebiet des Trauerschwans ist Australien und Tasmanien, in Neuseeland ist er eingebürgert und in Europa kommen ausschließlich ausgesetzte und verwilderte Exemplare vor. In Westaustralien ist er Wappentier und dort auch in der Flagge dargestellt.
Eine Metapher nur für Banker?
Heute wird oft an Börsen von „schwarzen Schwänen“ gesprochen, wenn unerwartete Ereignisse eintreten. Diese Metapher ist jedoch zu schön, um sie allein Bankern und Börsianern zu überlassen. Bemächtigen wir uns ihrer: Wenn Ihnen also etwas Unvorhergesehenes passiert, sprechen Sie von einem „schwarzen Schwan“! Und wenn Sie fragend angeblickt werden, stellen Sie sich vor, wie die Europäer im 17. und 18. Jahrhundert ausgesehen haben mögen, als ihnen von der Existenz von schwarzen Schwänen berichtet wurde.
Und verweisen Sie auf diesen Beitrag oder den in Ronalds Notizen: „Was Sie schon immer (nicht) wissen wollten (20)“!
Weitere Verweise
- „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Nicholas Taleb bei Wikipedia
- Cygnus atratus in der Internet Bird Collection (IBC) mit vielen Videos und Tonaufnahmen