Nicht zuletzt durch eine (falsche!) Schlagzeile ist der Deutsch-Test für Zuwanderer ins Gespräch gekommen. Wir erfahren hier ein wenig über diesen Test und über die anzustrebenden sprachlichen Niveaus – und über das der Schlagzeile.
Vor Kurzem titelte die vorgebliche Zeitung mit den großen Lettern und Bildern, die Bild (das Wort „Zeitung“ haben sie inzwischen selbst aus dem Titel genommen), dass „4 von 5 Flüchtlingen“ den Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ) nicht bestünden. Schauen wir uns diese Meldung zunächst einmal genauer an und befassen uns danach mit den Inhalten und den verschiedenen Niveaus dieser Tests.
Eine falsche Schlagzeile
Nach der ersten Meldung in der Sonntagsausgabe BamS und auf Bild.de sprangen weitere Medien der Axel Springer S E wie die B.Z und Welt.de, aber auch Focus Online, Pro7 und SAT.1 und sogar FAZ.net auf den Zug auf. Viele weitere Medien folgten, wobei bis heute unkorrigierte Fassungen immer noch im WWW zu finden sind, bis die falsche Nachricht (natürlich!) auch auf den Soziale-Medien-Kanälen der AfD landete – und entsprechendes Unheil anrichtete.
Flüchtlinge sollen so schnell wie möglich Deutsch lernen, lautet das Ziel der Bundesregierung. Doch die Ergebnisse sind ernüchternd.
Das war unter der Überschrift „Nach 1300 Unterrichtsstunden – 4 von 5 Flüchtlingen bestehen Deutsch-Test nicht“ am 7. Januar 2018 auf Bild.de (hier über Archive.is) zu lesen. Der Rest des Artikels war dann hinter der Bezahlschranke (neudeutsch: Paywall) verborgen. Eine verhängnisvolle Kurzfassung, aber selbst die Überschrift enthielt bereits mehrere Fehler!
Keine Flüchtlinge, sondern Analphabeten!
Es handelt sich bei den in der Meldung Angesprochenen nämlich nicht um „Flüchtlinge“, sondern um Flüchtlinge, die Analphabeten sind. Sie haben auch nicht einen „Deutsch-Test“ nicht bestanden, sondern das Sprachniveau B1 verfehlt, womit sie auch nicht durchgefallen sind, denn das Ziel des Kurses war nicht B1, sondern A2! Das bedeutet: Einer von fünf Zuwanderern hat das Ziel des Kurses sogar übertroffen – und das als ehemaliger Analphabet!
Die Schlagzeile müsste also richtiger heißen:
3 von 4 Flüchtlingen bestehen Deutsch-Test.
Aber das bringt ja keine Quote …
Die Meldung hinter der Schlagzeile
Wie der Bildblog bereits einen Tag später in „‚Bild‘-Medien lassen Flüchtlinge durch Deutsch-Tests fallen“ entlarvte, war der weitaus interessantere Inhalt nur für zahlende Abonnentinnen und Abonnenten sichtbar:
Laut aktueller Bamf-Zahlen besuchten allein im ersten Halbjahr 2017 rund 43 000 Menschen einen speziellen Integrationskurs für Analphabeten […].
Brisant: Trotz extra kleiner Lerngruppen und bis zu 1300 Unterrichtsstunden sprechen vier von fünf Flüchtlingen danach immer noch so schlecht Deutsch, dass sie nicht einmal einen Helfer-Job bekommen oder eine Ausbildung machen können. Das Sprachniveau B1 […] erreichen in den Analphabeten-Kursen gerade mal 17 Prozent der Teilnehmer, wie das Bamf auf Anfrage bestätigt. […]
Nicht besser sieht es bei den normalen Integrationskursen aus, also ohne Analphabeten. Insgesamt schafft bloß jeder zweite Teilnehmer den B1-Test.
So weit, so falsch.
Die Wahrheit hinter dem Deutsch-Test für Zuwanderer
Um die (Falschheit der) Meldung richtig zu verstehen, muss man sich ein wenig mit dem Deutsch-Test für Zuwanderer beschäftigen. Er wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz BAMF, nicht „Bamf“!) angeboten und durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Im Auftrag des Bundesministeriums des Innern wurde er vom Goethe-Institut und dem Sprachtestanbieter telc GmbH entwickelt und ist auf die kommunikativen Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten zugeschnitten. Anbieter sind bundesweit etwa 1700 Einrichtungen wie Volkshochschulen, kirchliche und viele andere Bildungsstätten.
Getestet werden die Kompetenzen in den Bereichen „Hören und Lesen“, „Schreiben“ und „Sprechen“. Der DTZ bietet verschiedene Niveaus an:
Elementare Sprachverwendung:
- A1 (Einstieg),
- A2 (Grundlagen).
Selbstständige Sprachverwendung:
- B1 (Mittelstufe),
- B2 (gute Mittelstufe).
Kompetente Sprachverwendung:
- C1 (fortgeschrittene Kenntnisse),
- C2 (sehr gute Kenntnisse).
Der DTZ für Analphabeten jedoch, auf den sich die Bild bezieht, richtet sich an Menschen, die „nicht nur Deutsch sprechen, sondern gleichzeitig in lateinischer Schrift lesen und schreiben lernen“ wollen (BAMF: „Integrationskurs mit Alphabetisierung“). Ziel dieser Kurse ist mitnichten das Mittelstufe-Niveau B1, sondern A1 oder A2: „So können auch Teilnehmende […], die am Ende des Kurses meist noch nicht das Niveau B1 erreicht haben, im Gesamtergebnis zumindest Sprachkenntnisse auf der Stufe A2 nachweisen.“ (BAMF: „Skalierte Sprachprüfung“)
Vom Nutzen von Statistiken
Die vom BAMF herausgegebene und inzwischen (Stand: 5. Juni 2020) online nicht mehr verfügbare „Integrationskursgeschäftsstatistik für den Zeitraum 01.01.2017 – 30.06.2017 (bundesweit)“ zeigt die tatsächliche Statistik hinter den Sprachkursen. Tabelle 5 auf Seite 6 etwa zeigt, woher die Kursteilnehmer/-innen stammen, nämlich vorwiegend (auf den ersten fünf Plätzen) aus Ländern, in denen kein lateinisches Zeichensystem gebräuchlich ist.
Tabelle 12 auf Seite 12 („Teilnehmer am Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ) beginnend mit dem zweiten Halbjahr 2009 nach Prüfungsergebnis“) zeigt, dass weitaus die meisten Teilnehmer/-innen auf Niveau B1 gelangen, gefolgt von denen mit dem Niveau A2. Dieser Trend setzt sich im ersten Halbjahr 2017 fort, wie Tabelle 13 auf Seite 13 zeigt. Woher die Bild also ihre Zahlen hat, ist daher fraglich.
Unter den begonnenen Integrationskursen belegen übrigens weitaus die meisten Migranten einen allgemeinen Integrationskurs (59,9 Prozent), gefolgt von Alphabetisierungskursen (31,4 Prozent), wie in Abbildung 10 auf Seite 18 dargestellt.
Nebenbei zeigt die Tabelle 7 auf Seite 8, dass die wenigsten Teilnehmer/-innen (und auch die wenigsten Bildungsträger) im ersten Halbjahr 2017 in den neuen Bundesländern zu verzeichnen waren, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass in eben diesen auch die wenigsten Flüchtlinge untergebracht sind. Merke: Wo es am wenigsten Migranten gibt, wird am lautesten gegen sie angeschrien!
Fazit, nicht nur zum Deutsch-Test für Zuwanderer
Alle Medien einschließlich der AfD, die diese Meldung weiterverbreiteten bzw. für sich und ihre Zwecke ausschlachteten, kamen entweder nicht über die Bezahlschranke hinaus oder verfügten nicht über das entsprechende Recherchevermögen und Hintergrundwissen, um hinter die Schlagzeile blicken zu können. Oder das entsprechende Bildungsniveau fehlte gleich ganz.
Bild-Chef Reichelt selbst fand, dass die Überschrift lediglich „schlecht formuliert” sei. Doch wie sagte schon Claus von Wagner in „Die Anstalt“ vom 31. März 2015:
Wer Bild liest, um sich zu informieren, der trinkt auch Schnaps, wenn er Durst hat.
Weitere Quellen und Verweise
- BAMF: „Deutsch lernen“ (Hauptseite zu Sprachkursen mit vielen Unterseiten)
- BAMF: „Das ESF-BAMF-Programm“, die berufsbezogene Sprachförderung
- Goethe-Institut: „Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen“, die Übersicht über die Sprachniveaus
- piqd/Fabian Goldmann: „5 von 5 Bild-Redakteuren versuchen gar nicht die Wahrheit über Flüchtlinge zu schreiben“
- piqd: „Wie viele Fehler passen in eine Bild-Schlagzeile über Flüchtlinge?“ (Bild auf Facebook)
- Ronalds Notizen: „Drecksblatt“
- Ronalds Notizen: „Keine Bild-Zeitung mehr“
- und hier beispielsweise „Deutschtest nicht bestanden“ und „Was sind eigentlich Fake-News?“
- Bildnachweis: Pixabay, Creative Commons CC0
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