Von der Buche über Buchstaben zum Buch

Was haben die Buche, Buchstaben und das Buch gemeinsam, außer ihrem Wortstamm? Vielleicht einen gemeinsamen Ursprung? Der Autor forscht nach.

Ein Buchstabe ist als Schriftzeichen Teil eines Alphabets. Insbesondere gedruckte Buchstaben werden als Lettern bezeichnet (von lateinisch littera und mittelhochdeutsch litter für „Buchstabe“), ebenso wie die einzelnen Drucktypen in der Zeit des Handsatzes. Das inzwischen veraltete Wort Litera für „(Druck)buchstabe“ zeugt noch von diesem Ursprung. Doch was haben die Buche, der Buchstabe und das Buch außer dem Wortstamm gemeinsam?

Der Baum und die Schreibtafeln

Bereits im Althochdeutschen bezeichnet buohha die Buche, buoh ein Buch oder Schriftstück und buohstap (mittelhochdeutsch buohstab oder buohstabe) einen Buchstaben oder das gesamte Alphabet. Unter einem Buch verstand man hierbei wohl Schreibtafeln aus Holz. Das Wort für den Baum und das Wort für die daraus verfertigten Tafeln haben vermutlich den gleichen Ursprung.

Coronation Gospel front
Buchdeckel des Krönungsevangeliars, Teil der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches, etwa 1500, heute im Bestand der Kaiserlichen Schatzkammer in der Wiener Hofburg
Im Germanischen standen *bōk-s für „Buch” und *bōk-ō für „Buche“ (aus indogermanisch *bhāg-) nebeneinander. Es ist gut vorstellbar, dass die Germanen das leicht zu spaltende Holz der heimischen Buche für die Herstellung von Schreibtafeln verwendeten. Auch als die zusammengebundenen Holztafeln in späterer Zeit durch Pergamentkodizes ersetzt worden waren, blieb die Bezeichnung Buch erhalten, denn die als Buchdeckel verwendeten äußeren Bretter bestanden bis ins 16. Jahrhundert hinein fast immer aus Buchenholz. Als die Buchbinder dann auch die hölzernen Buchdeckel langsam durch Pappdeckel ersetzten, die sie aus mehreren Makulaturschichten zusammenklebten, hatte sich das Wort „Buch“ so fest im Sprachgebrauch verankert, dass es weiterverwendet wurde.

Der Baum und die Buchstaben

Das Wort buohstab nun ist eine Zusammensetzung aus germanisch *bōk- für „Buch“ und *staba- für „Stab, Rune, Buchstabe“ und bedeutet im Althochdeutschen „Buchschriftzeichen“. Die überlieferten Belege wurden ausschließlich für die lateinische Buchschrift verwendet. Da *staba- auch „Rune“ heißt und in germanischer Zeit Holzstäbe mit Runenzeichen zur Vorhersage der Zukunft gebräuchlich wurden, ist es wahrscheinlich, dass vor der Ausbreitung der lateinischen Schriftkultur die „Buchstaben“ Runenzeichen waren. Die Verbindung von buohha für „Buche” und buohstab ist auch deshalb naheliegend. Dazu passt eine mögliche, aber nicht weiter überprüfbare Deutung der gemeinsamen Ausgangsform des indogermanischen *bhāg- als „Los-, Schicksalsanteil“. Die Buche ist dann ein Los- oder Schicksalsbaum, weil man seine Zweige mit den eingeritzten Zeichen, den Buchstaben, zur Deutung des Schicksals nutzte.

Nach einer anderen Theorie allerdings geht der Ausdruck „Stab“ auf den kräftigen Zentralstrich der Runen zurück, mit dem sie jeweils gebildet werden. Anzweifeln lässt sich auch die Verbindung zwischen „Buche“ und „Buchstabe“, denn der Ausdruck „Buchstabe“ sei für die im Buch gebräuchlichen lateinischen Schriftzeichen verwendet worden, nicht aber für die germanischen Runenzeichen, die im Altnordischen beispielsweise stafr und rūnastafr hießen.

(Siehe hierzu auch: Duden – Das Herkunftswörterbuch, Berlin 2013)

Ronald M. Filkas
Gelernter Schriftsetzer im Handsatz, Studium der Germanistik, zertifiziert abgeschlossene Fortbildungen „Web-Publishing Schwerpunkt DTP“ und Online-Redaktion, langjährige Erfahrungen als Schriftsetzer/ DTP-Fachkraft und als Korrektor und Lektor in Druckereien, Redaktionen und Verlagen. Mehr? Seite „Über mich“!

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